Führung und Fachkräftemangel: Eine Ursache mit großer Wirkung!
Ich hätte nicht gedacht, dass dieses Thema derart spannend werden würde, als ich vor ungefähr einem Jahr begann, mich darauf, insbesondere in Verbindung mit der Altersgruppe 45plus, zu fokussieren: Fachkräftemangel; schon wieder ist er eine ganze Zeitungsseite als Thema wert.
„…viele Arbeitnehmer können nicht nachvollziehen, wie sich in einem Land mit 2,5 Millionen Arbeitslosen ein Mangel an Fachkräften auftun sollte. Doch für viele Betriebe ist die lange und schwierige Suche nach qualifiziertem Personal Tag für Tag Realität.“ [‚Gigantische Personallücke‘, S.20, Welt Kompakt v. 07.05.2018] In Deutschland, in allen Branchen und Regionen. Wehklagen, lamentieren und beschweren, behaupten, es gäbe sie einfach nicht, die Fachkräfte.
Ich frage mich, warum eigentlich schaut niemand genauer hin? Vor lauter Bäumen scheinen mir viele – gerade Unternehmen und Personalwesen – den Wald nicht mehr zu sehen.
Tradierte Denkweisen, starre Prozesse und eingefahrene Verhaltensmuster, sie alle versperren den Blick auf im Unternehmen häufig schon vorhandene Potentiale. Das auf Goethe zurückgehende „Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?“ bekommt da für mich sogar betriebswirtschaftlich einen Sinn.
So hängen zum Beispiel nach meiner Erfahrung oft das unternehmensspezifische Führungsverhalten und ein möglicher Fachkräftemangel enger zusammen, als es mancher wahrhaben will. Zumindest ein Teil der Lösung zur Abschwächung des Problems läge damit näher, als in der Regel vermutet.
Natürlich muss Führung immer individuell betrachtet werden und unterschiedliche Kontexte, Bildungshorizonte, Mentalitäten und Qualifikationsniveaus bedürfen einer entsprechenden Führung. Dennoch zeigt sich, dass nicht selten, unabhängig von einem pauschalen Richtig oder Falsch, Führung den so gern postulierten Fachkräftemangel durch ihr zum Teil unpassendes Verhalten eher fördert, als dass sie ihm entgegenwirkt.
Wie gravierend sich ein unpassendes Führungsverhalten auf den Arbeitsalltag auswirkt und wovon diese Wirkung abhängt, zeigt exemplarisch der Gallup Engagement Index zum Empfinden von Mitarbeitern bezüglich Beruf und Arbeitsplatz und seine Entwicklung von zum Beispiel 2013 bis heute:
- So versahen dem Gallup Engagement Index nach schon 2013 unglaubliche 67 Prozent der Arbeitnehmer ihren Dienst lediglich nach Vorschrift.
- D.h., wenn 67 Prozent der Arbeitnehmer in dem Jahr nur Dienst nach Vorschrift machten, taten in absoluten Zahlen knapp 24,8 Mio. Menschen nur noch das Notwendigste – nicht einen Handschlag mehr. Und zu vermuten bleibt, dass die übrigen Mitarbeiter die daraus resultierenden Defizite sicherlich nicht durch übermäßiges Engagement auffingen. Vor allem dann nicht, wenn als vorrangige Begründung die „geringe emotionale Bindung der Mitarbeiter“ angeführt wird und diese sich meistens auf Defizite in der Personalführung zurückführen ließ, „wobei die Hauptrolle in diesem Prozess fast immer der direkte Vorgesetzte spielte.“
Natürlich drängt sich die Frage auf, warum Zahlen aus 2013 überhaupt von Belang für die Beschreibung der heutigen Situation sein sollten? Und genau da wird es interessant. Trotz vereinzelter Kritik an der Detailrelevanz dieses Index, zeigt er im Zeitablauf eine eindeutige Tendenz, indem die Werte für die Folgejahre bis heute nur geringfügig von denen davor abweichen und alles in Allem keine großen Veränderungen zu verzeichnen sind, die Auswirkungen auf die Schlussfolgerungen hätten.
Ehrlich gesagt, wäre es nicht so ernst, würde ich fast schmunzeln. Denn bei aller persönlicher Vorsicht vor Statistiken und Studien konnte ich bei meinen Recherchen feststellen, dass sich die von Gallup angeführten Äußerungen fast wortgleich mit zahlreichen Mitarbeiteraussagen aus meinen eigenen Trainings und Seminaren bezüglich des Verhaltens von Führungskräften gegenüber Kollegen und Mitarbeitern deckten. So klein scheint offensichtlich die Welt sein.
Allerdings, was ist das für ein Zeugnis für den Arbeitsalltag? Wider besseren Wissens und entgegen der allgemeinen Kenntnis um die schwierigen Zustände im Wettbewerb um Fachkräfte, läuft es offensichtlich in der Mehrzahl der Fälle seit langem alles andere als gut zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten. Zu spät fällt oft erst auf, dass etwas nicht stimmt. Gehen Mitarbeiter von selbst und stellen die Verbleibenden ihr Engagement ein, nimmt der Leidens- und damit Kostendruck der Firma Stück für Stück zu, bis die Kennzahlen – Absentismus, Fluktuation, Krankenstand – die Alarmglocken schrillen lassen; sofern sie denn erhoben werden. Auch wenn die Schmerzgrenze motivierter Fachkräfte – gerade der älteren (!) – möglicherweise hoch ist, so ist jedoch auch ihre Geduld mit den Umständen begrenzt. Früher oder später entscheiden sie sich; sie orientieren sich um, was manchen leicht fällt in einer Welt, die von Globalität geprägt und auf der Suche nach den Guten ist. Oder aber sie resignieren, ziehen sich zurück und kappen die innere Verbindung zu ‚ihrem‘ Unternehmen.
Ob nun so oder so, eine Führung, die die Fähigkeiten der vorhandenen Fachkräfte nicht nutzt, ihr Engagement unterbindet oder sie sogar vertreibt, kommt ein Unternehmen teuer zu stehen. Nicht nur die ungenutzt brach liegenden Fähigkeiten kosten Geld, nein, auch Mundpropaganda und Flurfunk tun ihr Übriges, die Kosten steigen zu lassen. So bleibt es monetär wesentlich aufwendiger ein schlechtes Arbeitgeberimage im Wettbewerb um die besten Fachkräfte zu ändern, als ein gutes zu pflegen. Wenn in Vertrieb und Marketing für die Gewinnung von Neukunden das fünffache an Kosten gegenüber dem Halten von Bestandskunden kalkuliert wird, fällt es schwer, sich vorzustellen, dass das Verhältnis der Kosten für die Gewinnung neuer Fachkräfte zu dem Aufwand für das Motivieren der bereits vorhandenen positiver ausfällt.
Chancen täten sich auf, wenn Führung präventiv arbeitete und früher betrachtete, wohin ein ungeeignetes Verhalten führt und entsprechende Korrekturen einleitete.
Führung, die ohne eigenen Wertemaßstab handelt, Konflikte ignoriert, Entscheidungen meidet und keine Farbe bekennt, bietet ihren Mitarbeitern kaum Anknüpfungspunkte für eine persönliche oder inhaltliche (Ver-) Bindung. Als Führungskraft mutlos den Kopf einzuziehen, ohne Traute oder eigene Meinung bloß vorgefertigte Argumente wiederzugeben, nur Sprachrohr zu sein, um nicht anzuecken, zeugt gegenüber niemandem – und erst Recht nicht gegenüber Fachkräften – von Führungskraft. Um diese zu zeigen, muss es vielmehr darum gehen, das Gefühl zu vermitteln, einem – im Idealfall – gemeinsamen Ziel entgegenzustreben. Solange Führungsarbeit sich jedoch vorrangig mehr an Prozessen, denn an den ausführenden Personen orientiert und mehr Zeit darauf verwandt wird, endlos um Probleme zu kreisen und Begründungen zu suchen, als Lösungen zu finden, solange führt Führung nicht wirklich. Und zerstört damit das Engagement derer, auf die sie am Ende angewiesen ist.
Ohne (Mit-) Denken, ohne hierarchieübergreifenden Austausch, ohne Blick über den Tellerrand, ohne eigenes, wenn man so will, ‚organisches‘ Leben, d.h. Wachstum, Regeneration, Erneuerung und Anpassung aller Organe, kann kein Unternehmen dauerhaft bestehen. Nur Abläufe zu optimieren, Regeln zu entwerfen, Berichtsketten zu füllen und Arbeit zu organisieren, reicht nicht. Erst die Fähigkeit sich gemeinsam auseinander zu setzen, ohne persönliche Animositäten aneinander zu reiben und trotzdem erfolgreich miteinander zu arbeiten, hilft einem Unternehmen zu bestehen – am Markt, in seiner Umwelt und natürlich im Kampf um Fachkräfte.